Rose Stoll IMG_7977 Foto Ralf Witthaus printRGB1200-2

Zeichnungen

Ralf Witthaus M.A.

Schauen wir auf die Zeichnung „Homage an Gerlinde Beck“: die vier raumgreifenden Kreise sind bildbestimmend für das Werk, sie überlagern sich, man könnte auch sagen, sie geben sich Stabilität und Standhaftigkeit, sie greifen ineinander. Aus jedem Kreis entspringt ein Linienbündel, wie ein Wind oder ein Lufthauch, der in unterschiedliche Richtungen entweicht. Aber auch eine mittige Linie steigt ganz gerade in den oberen Kreisen empor, und dort, wo sie aus den unterene Kreisen heraustritt, entspringt ebenfalls ein fünftes Linienbündel.

Hommage an Gerlinde Beck, 2017, Graphitzeichnung auf Papier, 102 x 73 cm, ©Rose Stoll

Rose Stoll sagt zu den vier Kreisen, dass diese „die vier künstlerischen Bereiche von Gerlinde Beck symbolisieren: Skulptur, Klang, Tanz und Zeichnung.“ Stoll hat hier ein Werk geschaffen, in der ihre Begeisterung mitschwingt. Die Künstlerin schätzt insbesondere Gerlinde Becks „Klangstraße“, eine Serie von Klangskulpturen. In der „Klangstraße“ wird die Einheit der Künste und deren gemeinsame Erfahrung denkbar. Und ein weiteres Detail verrät die Künstlerin über dieses Werk: „Die gerade hochlaufende Linie steht für die Inspiration“ die allen Künsten vorausgeht – und mutmaßlich stehen die dynamischen Linienbündelungen für all das, was die Künste an Emotion und Veränderung hervorbringen kann.

Die Graphitzeichnungen ist die jüngste Werkgruppe von Rose Stoll, denn erst 2014 kamen zu den farbigen Pastellarbeiten schwarz-weiße Zeichnungen. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht zu den Werken in Pastell. Zuerst einmal: Die farbigen Arbeiten sind mit wenigen Ausnahmen in der Größe von beispielsweise 65 x 50 cm oder 76 x 56 cm, (selten auch 80 x 100 cm,) also im Bereich eines klassischen Mittelformates der Tafelmalerei angesiedelt. Bei den Graphitzeichnungen gibt es hingegen ganz unterschiedliche Größen und auch ganz kleine Formate – hin bis zur Postkartengröße.

 

Mit sehr weichen Graphitstiften erschafft Rose Stoll ganz dynamische Bildelemente, jedes dieser Elemente ensteht durch dutzendhafte Wiederholung einer zeichnerischen Bewegung und so wird jede Linienbündelung zu einem körperhaften Bewegungsmoment. Jede Linie beginnt mit großer Kraft und wird zum Ende hin leichter gezeichnet, bis dass der Strich weich abreisst. All das führt dazu, dass sämtlichen Zeichnungen ein gewisser Schwung innewohnt. Für die Künstlerin bedarf es aber auch viel Konzentration, dass keine Linie eines Linienbündels ausreisst, und die Gesamtdynamik zerstört.

Überhaupt: In allen Graphitzeichnungen von Rose Stoll ist kaum eine Linie ganz für sich selbst stehend zu finden, und wenn eine gerade Linie oder ein Kreis mal einen Raum oder eine Fläche definiert, dann strahlen viele kleine Linien von ihm ab oder verräumlichen, ja verkörperlichen die graphische Information. Es ist fast, als ob Rose Stoll wie eine Bildhauerin eine Zeichnung macht, bei der das Raumgreifen eines Volumens, gar einer ganzen Skulptur ausgelotet wird.

Sicher finden wir bei den persönlichen und den kollektiven Bildern auch Linienbündelungen oder Parallelen in den jeweiligen Farbbereichen. Und bestimmt ist auch die künstlerische Intention und der Weg der Bildfindung in den Zeichnungen vergleichbar wie bei den persönlichen und kollektiven Bildern. Die Ähnlichkeiten zwischen den Zeichnungen und den Pastellmalereien finden aber doch auch ihre Grenzen im Bildaufbau. Der Hauptunterschied ist, dass die Farbflächen der Pastellmalereien zumeist alle bis zum äußersten Rand gehen, und somit sich andeutet, dass das Dargestellte über die Bildränder hinaus existiert, dass das Bild also wie ein Fenster einen Ausschnitt zeigt. In den Zeichnungen hingegen übertreten Linien nur selten den Bildrand. Das Bildmotiv ist zumeist wie eine Figur, die sich im Bild ausbreitet oder bewegt. Meist ist es eine zentrale Komposition, auf die wir schauen, manchmal gibt es vertikale und horizontale Linien, auch einmal schräge, aber immer ist die Bildmitte entscheidend für das Dargestellte. Außerdem gibt es für das Hintergrundweiß in den Zeichnungen kaum eine Parallele in den Malereien, dort haben die an- und umschließenden Farbbereiche immer auch eine Bedeutung. Vielleicht könnte man im direkten Vergleich mutmaßen, dass die Malereien zum Teil eine ausschnitthaftere Anmutung haben, als die Graphitzeichnungen, aber damit würde man beidem nicht gerecht werden. Denn letztlich entstammt dieser Unterschied der anderen Technik, die Rose Stoll nutzt, um aus ihrer gestalterischen Energie und Suche, eine überzeugende Umsetzung zu finden. Die Zeichnung ist eben nicht die Pastellmalerei in Schwarz-Weiss, sie ist keine Verkürzung, Vereinfachung oder Skizze. Sie ist selbständig und autonom. Beide künstlerische Ausdrucksformen sind, wie Rose Stoll es nennt, „Pure Energie“.

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Foto ganz oben: ©Rose Stoll, Vincent und Rose, 2015, Graphitzeichnung auf Papier, 60 x 42 cm, Foto ©Ralf Witthaus