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Persönliche Bilder

Ralf Witthaus M.A.

Selten habe ich ein Oeuvre gesehen, in dem so sehr Klarheit und Reinheit zum Ausdruck kommt. Dabei ist das, was Rose Stoll in ihrem Bildfindungsprozess macht, alles andere als einfach, es ist auch bestimmt nicht von jemand Anderem systematisch begründbar, oder gar reproduzierbar. Die einfachen, großen und zumeist weichen Formenkonstellationen, die mit klaren Farben die Bilder ausfüllen, entziehen sich für Unbeteiligte zumeist einer Zudeutbarkeit, auch wenn die Bilder auf Individuen oder bekannte Sachverhalte verweisen. Und trotzdem rühren sie an, strahlen etwas aus und setzen etwas in Bewegung.

Aus der darstellenden Kunst weiß ich, dass eine zentrale Fähigkeit innerhalb einer Schauspielausbildung nicht lehrbar ist: Ein Schauspiellehrer kann seine Studenten keine Aura lehren. Aber jeder Mensch, der Filme und Theater mag, weiß, dass so etwas wie Charisma eine zentrale Stärke von Schauspielern ist. Ob man mitgerissen wird von einer Erzählung, hängt natürlich zentral davon ab, dass ein Schauspieler nicht nur den reinen Handlungslauf spielen kann, sondern dass auch tieferliegende Ambitionen und Kräfte der Persönlichkeit sich mit ihm transportieren – all das Unausgesprochene, das den Möglichkeitsraum eines dargestellten Menschen unterschwellig vermuten lässt.

Karsten, 2013, Pastellkreide auf Papier, 65 x 50 cm, ©Rose Stoll, Foto ©Christian Stoll, Privatsammlung Wuppertal

Wenn wir unseren Blick auf das reale Leben richten, so findet sich auch hier dieser vage Raum: Jeder der einmal versucht hat, die Ausstrahlung eines Menschen mit Worten vollständig zu beschreiben, hat dabei bemerkt, wie begrenzt unsere Sprache ist. Ein Persönlichkeitsbild kann man anhand von Geschichten, Bildern und demographischer Informationen vielleicht noch ganz gut erläutern, aber zu erklären, mit welcher inneren Energie jemand unterwegs ist, ist eher schwierig in Worte zu fassen, ist diese Energie doch die Summe eines ganzen Lebens und der Kulturlandschaft, in der ein Mensch sich bewegt.

Wenn man etwas nicht in Worte fassen kann, lohnt es sich meist, zu einer anderen Möglichkeit von Ausdrucksmitteln zu wechseln. Rose Stoll benutzt dafür die Malerei. In ihren Werken, die sie vorwiegend mit Pastellkreide umsetzt, arbeitet sie daran, etwas auszudrücken, was die menschliche Welt auf ihrer Metaebene ausmacht. Sie zielt dabei auf eben das, was außerhalb der alltäglichen Rhythmen das Wesen unseren Handelns motiviert. Sie bezieht dabei die Anteile unserer Existenz mit ein, die geleitet sind von Gefühlen und Unbewußtem, all jenem, was uns anzieht und über Jahre beschäftigt. Auf der anderen Seite finden sich aber auch die Begrenzungen und Probleme von Menschen in ihren Bildern wieder, die Gegebenheiten, die sie nicht ändern wollen oder nicht ändern können. So abstrakt ihre Bilder auch wirken, für Rose Stoll ist das keine abstrakte Tätigkeit sondern eine ganz unmittelbar persönliche.

Klaus, 2005, Pastellkreide auf Papier, 65 x 50 cm, ©Rose Stoll, Foto ©Christian Stoll, Privatsammlung

Zwei zentrale Gruppen von künstlerischen Arbeiten befinden sich im Oeuvre der Künstlerin: Die persönlichen Bilder und die kollektiven Bilder. Im bildnerischen Ergebnis kann man die Werkgruppen kaum auseinanderhalten, erst mit dem Titel wird dies möglich. Denn die persönlichen Bilder entstehen, wie der Titel schon sagt, immer für eine Person. Auch wenn das Wort Portrait dem künstlerischen Prozess kaum entsprechen kann, so sind die Bilder doch nach dem Vornamen jener Person betitelt, für die es gemalt ist. In jedem Bild nähert sich die Künstlerin mit hoher Intuition dem Energiefeld eben jenes Menschen an und stellt das, was sie dabei fühlt, dar. Soweit sie Probleme wahrnimmt, sucht sie diese im malerischen Prozess aufzulösen, das erklärt die anfangs angesprochene Klarheit und Reinheit vieler Bilder – etwas durchaus ungewöhnliches innerhalb der bildenden Kunst, da heutzutage viele Künstler sehr gezielt mit ästhetischen Brüchen agieren. Das ist bei Rose Stoll ganz anders, für sie ist es auch nicht entscheidend, sich auf die Kunstgeschichte oder andere Künstler zu beziehen, etwas Neues dieser hinzuzufügen, oder sich gar abzugrenzen. Ihr künstlerisches Schaffen startet aus einer einzigartigen Konstellation, und das komplette Werk dreht sich ausschließlich um das Erfühlen intrinsischer Kräfte mit künstlerischen Mitteln.

Ähnlich der genannten Schwierigkeiten, die sich einstellen, wenn man das Charisma eines Menschen beschreiben will, fällt auch ihr selbst es nicht leicht, in Worte zu fassen, was genau beim malerischen Prozess passiert. Sie erklärt es am Beispiel der These der morphogenetischen Felder des britischen Biologen Ruprecht Sheldrake, dessen Ideen weniger in der Biologie, doch aber in den Sozialwissenschaften und der systemischen Therapie einigen Einfluss haben. Sheldrakes Idee ist es, dass ein übergeordnetes, formgebendes System existiert, welches noch nicht nachweisbar ist, aber, so Sheldrake, auf allen Ebenen Wirkung zeigt. Rose Stoll beschreibt das Erspüren ihrer Bildfindung, wie das Erfühlen von solchen morphogenetischen Feldern, als mediale Erfahrung, aber nicht im Sinne von Hellsichtigkeit oder Aurasichtigkeit, sondern eher in einer Hinwendung zu einer persönlichen, tiefen Wahrhaftigkeit: Einem absoluten Hinwenden zu einem Thema oder einem Menschen oder jemandem, dem dieser Mensch nahe steht oder stand, oder auch einer gemeinsamen Beziehung.

Es ist eine große empathische Kraft, die in den Werken von Rose Stoll zum Ausdruck kommt, und die das Übergeben eines persönlichen Bildes zu so viel mehr macht, als das bei Werken anderer Künstler im Großen und Ganzen denkbar ist. Rose Stoll berichtet, dass eine solche Übergabe zum Teil mit starken Emotionen einhergeht.

Lesen Sie hier weiter über die kollektiven Bilder von Rose Stoll


Foto ganz oben: Ausschnitt aus: Licht + Macht, 2015, Persönliches Bild für die Firma Britsch, Pforzheim, Pastelkreide auf Papier, 106 x 78 cm, Werk + Foto ©Rose Stoll